Seit gestern mittag bekannt wurde, dass der inhaftierte chinesische Bürgerrechtler Liu Xiaobo den diesjährigen Friedensnobelpreis erhält, rollt eine große Welle der Aufregung und des Glücks durch China und seine Online-Communities. Trotz massiver Zensurmaßnahmen wird das Ereignis überall im Netz gefeiert, vor allem in den schwer zu kontrollierenden Mikroblogs.
Ein paar herausgegriffene Stimmen (meine Übersetzung):
Ye Fu, Blogeintrag vom 8. Oktober 2010, 20:33:
Heute haben wir keine Feinde
Heut nacht ist Kalter Tau, heikles Wort wird geehrt mit heiklem Wort
Heut nacht fällt starker Regen auf die Provinz Hainan, es ist noch immer stockfinster in Jinzhou und China
Die Tränen zahlloser Menschen sind wie Regen, die spätherbstlichen Flüsse beginnen zu erstarren
Selbst der Sternenhimmel darf sich nicht zeigen, doch heut nacht wissen wir den Norden trotzdem zu finden
Heut nacht im Norden beginnt die eiserne Schwelle der Tür zu gefrieren
Mein Bruder ist bis heute in Haft, aber er weint nicht
Heut nacht hat er keine Feinde, auch wir haben keine
Aber morgen wird alles neu festgelegt und voneinander unterschieden
Heut nacht hört die ganze Welt, wer in der Hölle an die Tür klopft
Die Lästerer schimpfen immer noch mit schwacher Stimme
Heut nacht wird selbst die Stimme des Premierministers ausgesperrt
Das Volk darf nur feiern: Pandas in Europa bekommen Nachwuchs!
(Anmerkungen: Ye Fu ist Schriftsteller und Verleger. Er hat bereits an der Bürgerrechtsbewegung von 1989 teilgenommen. “Ich habe keine Feinde” ist ein Zitat von Liu Xiaobo. Kalter Tau ist ein Tag im lunaren chinesischen Kalender. Zu den Pandas: In den TV-Abendnachrichten war von Liu Xaobos Nobelpreis keine Rede)
Miniblogs auf Sina:
Su Xiaohe: In der Nacht des 8. Oktobers vergießen wir allesamt Tränen des Glücks. In der ersten Hälfte betrinken wir uns, in der zweiten lieben wir uns, machen keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht bis der Morgen graut. Auf der Straße zeigt ein Bruder der nächtlichen Szene den Finger, ein anderer wird von der Polizei mit aufs Revier genommen. Er ist offenkundig betrunken, fragt: Ist es denn gegen das Gesetz, dass ich glücklich bin?
Su Xiaohe: Von heute an lasst uns alle um unser eigenes Chinesisch ringen, und um unsere Freiheit
(Anm.: Liu Xiaobo stottert ein bisschen.)
Deng Fei: Der Buchkanal der Xinhua Nachrichtenagentur empfiehlt heute “The Long Road to Freedom. Nelson Mandelas Biographie”. Dieser sagt: “Das Gesetz macht mich zu einem Kriminellen. Aber meine Schuld besteht nicht in etwas, das ich getan habe, sondern darin, wofür ich stehe, in meinen Gedanken, meinem Gewissen.” Von Herzen Dank an die Kollegen von Xinhua, die dieses gute Buch empfohlen haben. Sehr instruktiv.
Feng Lun: Schätzt die Bedeutung von Idealen nicht falsch ein. Ideale sind das Licht am Ende der Finsternis. Wegen dieses Lichtes geht man mutig voran, auch wenn das nicht bedeutet, dass es unterwegs keine Schmerzen gibt. Aber ohne Ideale gibt es nur Furcht und Tod. Menschen ohne Ideale sind jeden Tag nur mit Furcht und Schrecken konfrontiert. Menschen mit Idealen sehen das Licht, das macht den Unterschied. Nur deshalb können wir weitermachen, weil in unseren Herzen dieses Licht existiert.
(Anm.: Der Verfasser ist ein bekannter Immobilienunternehmer.)
Auf Twitter:
Ping Ke: Wir überwinden, überwinden, überwinden eine Mauer, dann prallen wir gegen eine weitere Mauer. Einige schlagen mit dem Kopf gegen die Wand, andere werden zu einem ihrer Mauersteine.
(Anm.: Der Verfasser ist ein Pekinger Journalist, ehemaliger Radiomoderator und Podcaster. Video-Interview (bei Danwei) hier.)
Huyong: Erhebt das Glas! Auf die Leidenden, auf ihre Frauen! Auf China, auf den Frieden!
(Anm.: Der Verfasser ist ein bekannter Bildungs- und Medienexperte)
Zhanghui8964: Die Bürgerbewegung muss sich auf die gegenseitige Unterstützung warmherziger Bürger verlassen können, wenn sie vorankommen will. Denn wenn es diesen Geist gegenseitiger Unterstützung nicht gibt, wenn sich niemand um die Kämpfer kümmert, die gerade an der Front stehen, dann sind alle Deklaration, die wir Intellektuellen entwerfen, hohl und stinkend.
Zuola: Mein Bruder wusste nichts von Liu Xiaobo. Er wusste nicht, wer den Friedensnobelpreis in diesem Jahr gewonnen hat. Er sagt, im Fernsehen war davon keine Rede.
(Anm.: Der Verfasser ist ein Bürgerjournalist. Hintergrund zur Person und Interview hier.)
Pu Zhiqiang: Ich schlage vor, dass die nationalen und internationalen Medien zu Liu Xiaobos Preis Interviews mit den Strafrechtsprofessoren Gao Mingxuan, Zhao Bingzhi und Chen Weidong führen. Die haben die harte Bestrafung Xiaobos damals ganz begeistert kommentiert, so dass sie fast gerufen hätten: “Lang lebe die Regierung!” Ihre Einschätzung ist bestimmt hörenswert.
(Anm.: Der Verfasser ist ein bekannter Bürgerrechtsanwalt)
Lian Yue: Hört auf, am Ende einer glücklichen Sache zu seufzen: “Aber die Menschen in meiner Umgebung sind so kalt!” – Wie kalt? Kälter als das Gefängnis? Seid einfach selber warm.
lhplawer: Die Stimmung ändert sich: Taxifahrer, Polizisten, Hausfrauen, Geschäftsleute, alle finden es gut, dass Liu Xiaobo den Friedensnobelpreis bekommt. Das Außenministerium findet es schlecht. Die sind wirklich ein Außenministerium, vertreten nicht die Ansichten im Innern des Landes.
(Anm.: Der Verfasser ist Rechtsanwalt)
Charles Zhang: Ich gratuliere Liu Xiaobo aus meiner zweiten Heimat, und nur in meiner zweiten Heimat kann ich mich so frei äußern.
(Anm.: Der Verfasser ist Chef der großen Onlinemediengruppe Sohu und befindet sich zur Zeit in den USA)
Wang Guangze: Ich bin so glücklich! Die örtliche Polizei hat angerufen und gesagt, ich solle heute besser zuhause bleiben und mich im Geheimen freuen. Lustig!
(Many thanks to my chinese friends for their support!)